INTERVIEW: M²OLIE ABROAD

05.05.2022

Von September 2021 bis Februar 2022 forschte Dr. med. Johann Rink, Assistenzarzt in der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Universitätsmedizin Mannheim, im Rahmen seiner Tätigkeit am Forschungscampus M²OLIE unter der Anleitung von Prof. Dr. Dieter Enzmann an der University of California in Los Angeles, USA. In einem spannenden Interview über den Forschungsaufenthalt, der von Reisemitteln aus M²OLIE bezuschusst wurde, erzählt der Nachwuchswissenschaftler von den innovativen Projekten, die dort von ihm bearbeitet wurden, wie die Arbeiten an der UCLA auf die Vision von M²OLIE und den Closed-Loop-Prozess aufbauen, und wie sich die Forschungskulturen über den Atlantik hinweg unterscheiden.

Dr. med. Johann Rink, Assistenzarzt in der Klinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Universitätsmedizin Mannheim

LAURA WINTER: Vielen Dank für Deine Bereitschaft zu dem Interview, Johann. Wie kam der Forschungsaufenthalt an der UCLA zustande?

DR. MED. JOHANN RINK: Der Forschungsaufenthalt an der UCLA kam dadurch zustande, dass wir innerhalb des Forschungscampus überlegt hatten, welche Themen für die Zukunft relevant sein werden und wie wir diese im Forschungscampus weiter entwickeln möchten. Da lag es nah, sich auch außerhalb von Deutschland umzusehen. Unsere Wahl ist dann auf die UCLA gefallen, weil es einerseits schon lange eine gute Partnerschaft zwischen unseren Einrichtungen gibt und andererseits, weil die Abteilung von Prof. Enzmann sehr viel an Technologie und Forschungsprojekten vorantreibt. Die UCLA ist für den Forschungscampus insgesamt, denke ich, eine hervorragende Wahl. Wir haben dann den Kontakt aufgenommen und sehr schnell positive Rückmeldung erhalten, was dazu geführt hat, dass wir die Idee eines Forschungsaufenthaltes an der UCLA mit ganz konkreten Inhalten füllen konnten, die dem Forschungscampus maximal nutzen.

WINTER: Welche Projekte werden denn konkret von Dir an der UCLA bearbeitet und wie ist der Stand der Umsetzung?

RINK: Im Rahmen des Forschungscampus haben wir entschieden, einen starken Fokus auf Themen der interventionellen Radiologie zu legen. Wir sind zu dem Entschluss gekommen, meine Arbeitskraft in Projekte zu investieren, die mit der Robotik zusammenhängen, weil das auch starke Themen von uns in Mannheim sind. Konkret widme ich mich an der UCLA einem Forschungsroboter von Corindus, einer Firma von Siemens Healthineers. Der Roboter ist für Gefäßeingriffe prädestiniert und klinisch bereits im Einsatz. Viel Arbeit und Mühe wird in die Weiterentwicklung dieser Technologie investiert, was uns einen Einblick in die Zukunft erlaubt. Wir versprechen uns davon große Potenziale für die Patientenversorgung. Ich habe mit dem klinischen Roboter Eingriffe assistiert, und es war für mich sehr interessant zu sehen, wie gut es möglich war, die Intervention von einer Konsole aus zu steuern. Es wurde von einer Konsole aus zehn Metern Entfernung Kathetermaterial navigiert, als würde man direkt beim Patienten stehen. Das fand ich sehr beeindruckend. Obwohl es schon am Patienten zugelassen ist, gibt es natürlich auch viele Themen, die noch weiter entwickelt werden müssen, sodass man Robotik zukünftig für vielfältige Indikationen einsetzen kann. An diesen Themen wird hier gearbeitet und daran bin ich beteiligt.

WINTER:  Ist das also ein Großprojekt oder mehrere kleinere Projekte, die Du aktuell bearbeitest?

RINK: Genau, das Robotikprojekt ist lediglich eines meiner Projekte. Wir haben ein zweites Projekt im Tiermodell, das auch sehr eng an unsere M²OLIE-Arbeit anknüpft. Dabei geht es um die Tumorbehandlung in der Leber. In einem Schweinemodell wird evaluiert, wie sich eine durch Mikrowellenablation gesteuerte Intervention auf die Leber auswirkt, wenn diese Leber mit einer Embolisation vorbehandelt wird: Es handelt sich also um eine Serie von zwei interventionell-radiologischen Eingriffen – erst eine Embolisation und dann eine Mikrowellenablation. Je nachdem wie die Energien, Größen und Stärken dieser beiden Behandlungen variiert werden, können Vorhersagen über die genaue Größe des behandelten Areals gemacht werden.

Das kann sehr nützlich sein, weil man in Zukunft davon ausgeht, dass man mit Hilfe der gewonnenen Daten Tumortherapien viel präziser planen kann. Und das kommt dem Tumorpatienten insgesamt zu Gute.

WINTER: Du hast es bereits angesprochen. Welchen Bezug haben diese Projekte konkret zu M²OLIE und dessen Fokus auf oligometastasierte Tumorerkrankungen?

RINK: Im ersten Projekt ist das natürlich der Robotikbezug. Wir haben am Forschungscampus eine andere Art von Robotik sehr weit vorangetrieben. Diese werde ich auch hier in einigen Wochen vorstellen, weil sie auf sehr positive Resonanz von den Interventionalisten gestoßen ist. Die Abteilung hier interessiert sich sehr dafür, wie wir es in M²OLIE geschafft haben, einen Punktionsroboter zu entwickeln, also einen Biopsieroboter. Der Gegenpart hierzu ist dann der vaskuläre Roboter, der extrem interessant ist, um z. B. Schlaganfälle, Herzinfarkte, oder sonstige Gefäßverschlüsse im Körper zu behandeln. Da sehe ich einen sehr interessanten und möglichen Zukunftsschritt für den Forschungscampus, auch in den vaskulären Bereich vorzudringen. Das ist die Verbindung, die ich zwischen unseren Projekten ganz deutlich sehe.

WINTER: Das heißt, Deine Arbeiten an der UCLA bauen konkret auf die Arbeiten im Verbundprojekt M²INT auf?

RINK: Genau. Es sind zwei komplementäre Arten von Robotik. Wir haben die eine Art von Robotik in Mannheim und an der UCLA arbeite ich an der anderen. Insgesamt wird sich das in Zukunft sicherlich zu einer Vielfalt von Robotern entwickeln. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir im Forschungscampus zukünftig auch im vaskulären Bereich tätig werden.

WINTER: Wie schätzt Du die Übertragbarkeit auf M²OLIE bzw. die Integration der Ergebnisse in den Closed-Loop-Prozess ein?

RINK:  Ich sehe vor allem, dass wir schon heute die Behandlung von Lebertumoren sehr gut integrieren können. Wir wenden an der UCLA eine Embolisation mit einer gekoppelten Mikrowellenablation an. Das sind prinzipiell Technologien, die wir auch in Mannheim ohne Probleme beherrschen. Ich kann mir sehr leicht vorstellen, dass wenn die Arbeiten und die Forschungsergebnisse wissenschaftlich noch etwas weiter etabliert sind, wir auch im Forschungscampus eine Kombination der beiden Verfahren einsetzen werden und Modelle zur Vorhersage des genauen Behandlungsareals nutzen. Und das passt perfekt in den Closed-Loop-Prozess, weil es hier um die Behandlung von Lebermetastasen geht.

WINTER: Können die Projekte an der UCLA in Mannheim fortgesetzt werden und sind darüber hinaus weitere aufbauende Projekte vorstellbar?

RINK: Wir können in Mannheim von den Ergebnissen sicher sehr stark profitieren. Einerseits, weil aus meiner Sicht die vaskuläre Robotik ein Zukunftsthema ist, das uns als Forschungscampus sehr am Herzen liegen wird. Wir erwarten, dass das gesamte interventionell radiologische System von dieser Robotik in Zukunft auch mit revolutioniert wird und ich sehe das als Chance. Da ist es interessant, noch ein bisschen weiter in die Zukunft zu denken. Denn sobald es gelingt, die Robotiksteuerung wirklich sehr zuverlässig und sehr sicher zu etablieren und auch zuzulassen, dann ist es auch denkbar, dass wir in Zukunft Behandlungen an Patienten vornehmen, bei denen der Behandler nicht in der gleichen Klinik ist, sondern über eine Fernsteuerung eingreift. Wir glauben, dass die interventionelle Radiologie sich in diese Richtung bewegen wird, weil es z. B. beim Schlaganfall einerseits um jede Minute geht, andererseits die erfahrenen Interventionalisten nur limitiert verfügbar sind und oft nicht schnell genug in den Einsatz kommen können. Das Problem gibt es auch bei vielen anderen Notfällen.  Die Robotik kann in Zukunft ein Teil der Lösung sein. Deswegen werden wir dieses Thema in den Forschungscampus zukünftig sehr stark integrieren können und wollen. Beim anderen Projekt sehe ich schon in naher Zukunft die Möglichkeit, die Ergebnisse dieser Kombinationstherapie für oligometastasierte Patienten anzuwenden. Auch die Prädiktionsmodelle über die Größe der behandelnden Tumorareale in der Leber könnten wir in Mannheim sicherlich sehr gut integrieren.

WINTER: Möchtest Du uns generell etwas zur technischen Infrastruktur an der UCLA erzählen?

RINK: Es ist eine tolle Erfahrung als junger Wissenschaftler auch mit noch limitierten wissenschaftlichen Erfahrungen ein halbes Jahr hier sein zu können, weil es teilweise eine andere Größenordnung von Forschung ist. Wir haben hier ein Krankenhaus, das 2010 gebaut wurde und das für die Patientenversorgung zuständig ist. Und wir haben ein anderes Krankenhaus aus den 1980ern mit einer Infrastruktur, die rein zu Forschungszwecken abgestellt ist und in dem ich im Moment hauptsächlich arbeite. Wir haben hier OP-Räume und Interventionsgeräte der neuesten Generation, wie beispielsweise den Siemens Artis Zeego im Einsatz, und dazu neueste CT- und MR-Geräte, rein für Forschungszwecke. Insgesamt steht hier also der Wissenschaft eine riesige Fläche und Umfang an Technologie und Geräten zur Verfügung. Das finde ich insgesamt als Jungwissenschaftler sehr hilfreich, und bringt mich auf sehr viele Ideen. Nichtsdestotrotz lebt die Infrastruktur natürlich auch ganz stark davon, dass man sich untereinander austauscht. Was ich hier sehr schätze ist, dass das Team in Klinik und Forschung sehr offen ist, mich zu integrieren und mich an die Hand zu nehmen, Themen zu finden und gemeinsam zu diskutieren, mir Feedback zu geben. Es ist also eine super Erfahrung im Hinblick auf Infrastruktur und besonders das Teamplay.

WINTER: Wäre in Zukunft auch ein Gastaufenthalt eines Forschers aus der UCLA in M²OLIE in Mannheim denkbar?

RINK: Ja, das überlege ich mir auch. Der Forschungscampus hat an Infrastruktur grundsätzlich relativ viel zu bieten, finde ich. Deswegen könnte ich mir gut vorstellen, dass man von Seiten der Radiologie auch Interesse hätte, jemanden nach Deutschland einzuladen. Nicht zuletzt, weil Deutschland für die Kollegen hier ein extrem interessantes Land ist. Jeder möchte es eigentlich gerne mal gesehen haben und da gewesen sein.

WINTER: Nun vielleicht noch einmal aus der Helikopterperspektive: Was unterscheidet die Forschungskultur an der UCLA von der an der UMM?

RINK: Es ist fachlich nicht so viel unterschiedlich. Wir forschen ja in den gleichen Maßstäben, wir publizieren in den gleichen Zeitschriften. Hier stehen dem wissenschaftlichen System allerdings gefühlt mehr Ressourcen zur Verfügung. Der Forschung selbst wird hier aus meinem Bauchgefühl heraus nochmal etwas mehr Wertschätzung entgegengebracht, was vielleicht auch mit mehr wirtschaftlichen Mitteln zusammenhängt. Das finde ich sehr positiv hier. Ansonsten sprechen wir insgesamt weitgehend die gleiche Sprache und die Unterschiede sind nicht so groß zwischen uns in der Forschungskultur. Die Arbeitsbedingungen für Forscher in den USA scheinen insgesamt etwas härter und Forschung auch kompetitiver zu sein, das ist mein persönlicher Eindruck. Das ist nicht notwendigerweise negativ.

WINTER: Wann können wir denn mit den ersten Ergebnissen bzw. Publikationen Deiner Projekte rechnen?

RINK: Das Lebertumorprojekt haben wir Anfang November angefangen und schließen unsere Serie Ende November ab. Wenn es klappt, so wie wir es uns vorstellen, werde ich die Ergebnisse im Februar 2022 auf einer Konferenz in San Francisco vorstellen.** Bis dahin soll auch das Paper dazu eingereicht sein. In diesem Kontext möchte ich auch betonen, dass sechs Monate Forschungsaufenthalt aus meiner Sicht definitiv notwendig sind. Denn die erste Zeit ist viel mit Organisation verbunden – man muss Leute kennenlernen, in die Arbeiten „reinkommen“, sich ein gewisses Vertrauen erarbeiten – danach kann man erst wirklich produktiv arbeiten und die Zeit ist dann gar nicht mehr so lang. Die Zeit ist also wirklich notwendig, um Ergebnisse zu produzieren, und sich so zu integrieren, dass die Projekte am Ende erfolgreich sind.

PROF. DR. PATRICK MAIER: Wie sieht es mit Deinen anderen M²OLIE-Arbeiten in Mannheim aus?

RINK: Mein M²OLIE-Kollege in Mannheim, mit dem ich auch in vielen anderen Projekten gemeinsam arbeite, nimmt mir an einigen Stellen Arbeit ab. Meine M²OLIE-Projekte kann ich auch von hier aus alle weiterbetreuen. Wir stehen dank Videokonferenzen ständig im Austausch. Vielleicht ist das auch ein Effekt von Corona, dass wir jetzt mehr Akzeptanz für Online-Meetings haben, also das Ganze leichter zu organisieren ist und damit Projekte nicht liegen lassen müssen.

MAIER: Bleibt dann überhaupt noch Zeit, das Land zu erkunden?

RINK: Ja, die bleibt definitiv, weil ich mich relativ flexibel organisieren kann, sodass ich deutlich mehr Zeit als in Mannheim habe. Was ich hier generell sehr schätze, ist, dass die Leute einem das Gefühl geben, sehr willkommen zu sein. Und: der amerikanische Westen hat natürlich landschaftlich unendlich viel zu bieten. Das genieße ich am meisten in meiner Freizeit!

WINTER: Vielen Dank für diese interessanten Einblicke in Deinen Forschungsaufenthalt!

Das Interview fand am 17.11.2021 via Webex statt.

Nachtrag:

** Die Ergebnisse des Lebertumorprojekts wurden auf dem SIO (Society of Interventional Oncology) Annual Scientific Meeting 2022 vorgestellt. Das Paper befindet sich aktuell noch in Bearbeitung.

Die Fragen stellten Laura Winter und Patrick Maier von der Geschäftsstelle des Forschungscampus M²OLIE.

Dieses Interview wurde aus Gründen der Übersichtlichkeit bearbeitet und gekürzt.